posted by GQ, Cordula Funke, 5. August 2019

Benjamin Melzer: „Mädchen sein war einfach nicht mein Ding“

Benjamin Melzer wurde 1987 als Yvonne geboren. Doch als Mädchen fühlte er sich nie. Mit 23 entschied er sich, auch körperlich zum Mann zu werden. Heute ist er Model, Unternehmer und Transgender-Vorbild. GQ verriet er, wie sich Mann-sein für ihn heute anfühlt – und was neue Männlichkeit für ihn bedeutet.

„Real Men“ ist die Videoserie von GQ über neue Männlichkeit. Prominente Persönlichkeiten sprechen darüber, was Männlichkeit heute bedeutet – jenseits aller Klischees. Alle Folgen gibt es hier.

GQ: Wann hast du gemerkt, dass du dich als Junge fühlst?

Benjamin Melzer: Das ist sehr schwierig zu beantworten. Aber ich habe schon früh gemerkt, dass ich irgendwie anders bin. Ich war schon immer sportlich und frech und habe lieber mit Jungs rumgealbert. Mädchen sein war einfach nicht mein Ding.

Welche Rollenbilder wurden dir zuhause vorgelebt?

Die Männer in meiner Familie entsprechen alle dem klassischen Bild „Macho-Level-3000“, heißt: Frau gehört in die Küche, Mann geht arbeiten. Aber ich hatte das Glück, in meiner Kindheit nie in eine Rolle gepresst worden zu sein. Ich durfte wirklich frei sein.

Welche Vorbilder haben dich als Kind geprägt?

In meiner Kindheit gab es eine Figur, die ich heute noch am liebsten wäre: Disneys Hercules. Den fand ich so cool! Er ist halb Gott, halb Mensch, er hat die tollen Mädels bekommen. Dann ist er auch noch super stark und hat Monster besiegt. Ich sage immer: Sei du selbst. Es sei denn du kannst Hercules sein – dann sei Hercules! (lacht!)

Wann hast du dich das erste Mal wirklich als Mann wahrgenommen?

Mit 23 Jahren habe ich mich entschieden, endlich ich zu sein, und zwar ein Mann. Aber erst, als mir Haare auf der Brust wuchsen, wurde mir so richtig bewusst: Okay, du bist ein richtiger Kerl!

Wie wurde deine Entscheidung aufgenommen?

Für meine Eltern war es einfach nur eine Frage der Zeit. Selbst meine Oma, und die war damals 89, hat gesagt, es ändert sich ja nichts – außer der Name. Ich war immer ein kleiner Junge, es war nie anders. Im Nachhinein denke ich, dass ich rücksichtsvoller meiner Umwelt gegenüber hätte sein können. Für mich stand das alles fest, aber ich habe dabei völlig außer Acht gelassen, dass alle anderen mich ja 23 Jahre lang als Yvonne kannten. Es war sicherlich auch nicht leicht umzudenken und sich anzugewöhnen, Ben zu sagen.

Was war das für ein Gefühl – das erste Mal als Mann aufzutreten?

Ich musste mich nicht verstellen oder irgendwem was vormachen. Ich war einfach ich. Meine Männlichkeit fühlt sich so an, dass ich mir gar keine großen Gedanken mehr darüber mache. Ich bin einfach da und ich versuche die beste Version von mir zu sein. Ich fühle mich wohl und strebe nach mehr.

Du hast einen durchtrainierten Körper, bist sehr sportlich? Gehört diese Körperlichkeit für Dich zur Männlichkeit dazu?

Körperlichkeit spielt für mich generell eine große Rolle. Ich habe ein bestimmtes Bild, wie ich mich gerne sehen möchte. Merkmale wie die klassische V-Form – breites Kreuz, schmaler Hintern – das gehört für mich zur Männlichkeit dazu. Ebenso wie gepflegtes Äußeres und ein Bart – ein Mann ohne Bart, ist wie ein Bild ohne Rahmen. Gleichzeitig möchte ich frei von Stereotypen- und Rollenerwartungen sein. Wir sollten nicht mehr in Schubladen denken, wie: Der geht gerne shoppen, also muss er zwangsläufig schwul sein. Von solchen Gedanken muss man sich freimachen!

Du hast Dir Deinen Body härter erarbeiten müssen als andere…

Manchmal wenn ich durch die Fußgängerzone laufe, dann sehe ich so einen Riesenkerl – der hat eigentlich die besten Voraussetzungen: Breites Kreuz, etc. – und dann hockt der da und trinkt erst einmal drei Bier und isst eine Currywurst. Dann denke ich mir: Mein Gott du hast doch alles von Gott gegeben, du startest quasi bei null – und machst nichts aus Deinem Körper! Und ich musste bei Minus 10 starten.

ÜBER MEINE MÄNNLICHKEIT MACHE ICH MIR HEUTE GAR KEINE GROSSEN GEDANKEN MEHR. ICH BIN EINFACH ICH.

 

Hast du Erfahrung mit toxischer Maskulinität gemacht?

Im Fitnessstudio passiert es tatsächlich öfter, dass man diese toxische Männlichkeit einfach direkt ins Gesicht bekommt. Indem Männer Frauen angaffen, als hätten sie noch nie eine Frau gesehen. Das finde ich überhaupt nicht cool. Ich finde, das hat etwas mit Respekt zu tun. Dieses Verhalten finde ich eher primitiv.

Brauchen wir in Zukunft noch klassische Rollenbilder?

Ich glaube, dass diese klassischen Rollenbilder einfach wegfallen. Das sehen wir daran, dass mittlerweile divers in unserem Pass stehen kann. Mann, Frau, divers – klassische Einteilungen verlieren immer mehr an Bedeutung. Wir befinden uns in einem Wandel. Wir sind alle nur Menschen und es ist ja völlig egal, wo oder wie wir uns zugehörig fühlen.

Was ist für dich ein guter Mann?

Jeder kommt irgendwann an den Punkt, an dem er entscheiden muss, welche Art Mann er sein will. Ich möchte die Art Mann sein, die ich später auch meine Tochter ausführen lassen würde. Ein guter Mann ist für mich jemand, der ehrlich und loyal ist, der sich kümmert und der seine eigenen Bedürfnisse vielleicht auch mal hintenanstellt. Das sind nicht zwingend Eigenschaften, die klassisch männlich sind. Das sind einfach Eigenschaften, die menschlich sind.

Was bedeutet neue Männlichkeit für dich?

Neue Männlichkeit bedeutet für mich, einfach du selbst zu sein und keine Rücksicht darauf zu nehmen, was Leute von dir erwarten.

#NewMasculinity – ein Projekt von GQ

GQ war von Beginn an das Magazin des modernen Mannes. Den einen modernen Mann gibt es aber nicht mehr, stattdessen viele verschiedene Typen, Rollenbilder, Selbstdefinitionen. Mit dem Projekt #NewMasculinity wollen wir die Vielfalt der Männlichkeit von heute feiern – und mit Klischees und überkommenen Männlichkeitsdefinitionen aufräumen. Alle GQ-Themen rund um die neue Männlichkeit finden Sie hier.